Bundesjustizminister Marco Buschmann will den Einsatz von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten vorantreiben. Einen entsprechenden Referentenentwurf hat er Ende November 2022 vorgelegt.
Bereits seit 2001 gibt es die Vorschrift § 128a in der Zivilprozessordnung (ZPO), die Verhandlungen auch „im Wege der Bild- und Tonübertragung“ gestattet. Danach kann das Gericht „den Parteien, ihren Bevollmächtigten und Beiständen oder von Amts wegen gestatten, sich während einer mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen. Die Verhandlung wird zeitgleich in Bild und Ton und in das Sitzungszimmer übertragen.“
Jahrzehntelang blieb diese Regelung allerdings unbeachtet, bis man sich mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie wieder auf sie besann. Viel davon Gebrauch gemacht wurde davon auch während der Corona-Pandemie nicht, wie eine Erhebung der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) aus Juni 2021 zeigt. So gaben von den 5.023 Befragten lediglich 12,4 Prozent an, dass sie einen oder mehrere Anträge gestellt hätten und auch das Gericht Videoverhandlungen von Amts wegen beschlossen habe. Die große Mehrheit von 65,54 Prozent habe die Videoverhandlung dagegen gar nicht beantragt, so die Studie. Auch die Gerichte waren sehr zurückhaltend.
Mit seinem Gesetzesvorstoß will Bundesjustizminister Buschmann das jetzt ändern. Videokonferenzen sollen ein selbstverständlicher Teil des Gerichtsalltags werden. „Wer nicht mehr von Hamburg nach München zu einer Gerichtsverhandlung fahren muss, spart Zeit und Ressourcen. Termine lassen sich leichter vereinbaren, denn die Beteiligten können eine Verhandlung oder Beweisaufnahme per Video viel einfacher in ihren Alltag einfügen. So bekommen die Parteien auch schneller gerichtliche Entscheidungen“, wirbt Buschmann für seinen Entwurf.
Innerhalb der Anwaltschaft wird seine Initiative im Prinzip begrüßt. Gleichwohl gibt es auch Kritik: In der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) stört man sich daran, dass nach der geplanten Neufassung des §128a ZPO nun das Gericht eine Videoverhandlung nicht nur gestatten, sondern gegenüber den Verfahrensbeteiligten anordnen können soll. Die Verfahrensbeteiligten können nur innerhalb einer Frist beantragen, von dieser Anordnung ausgenommen zu werden. „Wenn sich jedoch die Parteien einig sind, dass sich eine Videoverhandlung für den Fall eignet, das Gericht das jedoch ablehnt, müssen sich die Parteien nach dem jetzigen Entwurf fügen“, kritisiert Rechtsanwalt und Notar Hans Ulrich Otto. Der Fachanwalt für Arbeits- und Sozialrecht ist Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft der BRAK zur Sicherung des Rechtsstaates und Präsident der Rechtsanwaltskammer Hamm. „Diese Regelung, dass nur der Richter die Videoverhandlung anordnen kann, verkennt das Dispositionsrecht der Parteien, die gerade in der Zivilgerichtsbarkeit von großer Bedeutung ist“, so Otto. Nach einer Verhandlung auf Augenhöhe zwischen Organen der Rechtspflege klingt das jedenfalls nicht.
Hinzu kommt, dass die Gerichte überhaupt in der Lage sein müssen, Videoverhandlungen technisch ausführen zu können. Denn bislang sind bei kaum einem Gericht alle Verhandlungssäle komplett mit moderner Videokonferenztechnik ausgerüstet. „Mit seinem Referentenentwurf hat der Bundesjustizminister den zweiten Schritt vor dem ersten gemacht. Auf jeden Fall sind zunächst einmal hohe Investitionen in die technische Ausstattung der Gerichte notwendig, wenn Videokonferenzen zum Gerichtsalltag gehören sollen“, sagt Otto. „Die im Referentenentwurf aufgeführten einmaligen Investitionskosten von 176.600 Euro und jährlichen Kosten für den Betrieb von 114.790 Euro werden bei weitem nicht reichen.“
Da kann es auch keine Lösung sein, wenn Richter und auch Beisitzer künftig „von einem anderen Ort“ aus, die Verhandlung führen dürfen. Nach der bisherigen Regelung mussten sie sich im Gerichtssaal für die Verhandlung aufhalten. Aber wie ist es um die Datensicherheit und Übertragungssicherheit bestellt, wenn Richter und/oder Beisitzer in ihrem Homeoffice sitzen? Wie wird sichergestellt, dass sich kein unbefugter Dritter im Raum aufhält und dass keine äußere Beeinflussung möglich ist? „Alle diese Fragen nimmt der Entwurf noch nicht ausreichend in den Blick“, stellt Otto fest.
Das schlimmste Szenario ist für ihn jedoch, wenn jedes Bundesland nun damit beginnt, seine eigene IT-Lösung für die Videoverhandlungen zu basteln. Denn leider sind die Digitalisierungsgeschwindigkeiten in den verschiedenen Gerichten und auch je nach Bundesland sehr unterschiedlich, was bereits die Schwierigkeiten bei der Einführung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) gezeigt haben. „Wenn sich die Länder nicht auf ein einheitliches System einigen und der Bund keine einheitlichen Vorgaben macht, dann wird das Vorhaben scheitern“, befürchtet Otto.