„Der Fachkräftemangel in den Kanzleien hat sich weiterverschärft“

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Qualifizierte und engagierte Mitarbeitende für ihre Kanzlei zu finden, wird für viele Anwältinnen und Anwälte zu einem immer größeren Problem. Auf dem Deutschen Rechtsfachwirttag, der am 18. und 19. November 2022 in Bremen stattfindet, wirft Ronja Tietje nicht nur einen Blick auf den anhaltenden Fachkräftemangel in den Kanzleien. Die geprüfte Rechtsfachwirtin/Notarfachwirtin und Beraterin für Anwalts- und Notarkanzleien spricht ebenfalls über die sich wandelnde Arbeitswelt in den Kanzleien sowie Fortbildungsmöglichkeiten für ReFas und ReNos.

Hat sich der Mangel an Kanzleifachkräften noch weiter verschärft?

Ronja Tietje: Ja, das muss ich leider bestätigen. Das liegt auch daran, dass nun vermehrt die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand treten. Digitale Tools, die den Arbeitsalltag in den Kanzleien erleichtern, können da nur leicht gegensteuern. Hinzu kommt, dass mit dem Ausscheiden der älteren und erfahrenen Kolleginnen und Kollegen zugleich viel Fachwissen entschwindet. Ein weiteres, aber schon seit Jahren bestehendes Problem sind die rückläufigen Ausbildungszahlen. Hier hat sich leider auch nichts geändert. Von den ohnehin wenigen fertig ausgebildeten ReNos und ReFas wechselt dann auch noch eine Mehrzahl in die Wirtschaft oder die Verwaltung. Der Mangel an Fachkräften für die Kanzleien hat sich also noch weiter verschärft; eine Lösung zeichnet sich leider nicht ab.

Inwiefern haben sich die Anforderungen und Aufgaben für die Mitarbeitenden in den Kanzleien gewandelt?

Heute spezialisieren sich die Kanzleien immer stärker auf ihre jeweiligen Fachgebiete und Schwerpunkte. Darauf müssen sich dann auch die Mitarbeitenden einstellen und das notwendige Fachwissen besitzen. Natürlich verändert auch die fortschreitende Digitalisierung die Kanzleiarbeit. Dadurch ist vieles schnelllebiger geworden.

Wirkt sich die Digitalisierung eher nachteilig auf die Mitarbeitenden aus?

Nein, das kann man so nicht sagen, denn die digitalen Tools sorgen – bei effizientem Einsatz – in hohem Maße für eine Arbeitserleichterungen. Ein Manko der Digitalisierung ist allerdings, dass Mitarbeitende am Ende eines Arbeitstages vielfach nicht sehen können, was sie alles erledigt haben. Früher lag da physisch ein Stapel Akten, der bis zum Abend abgearbeitet werden musste. Mit Einsatz der E-Akte passiert das zwar auch, aber man sieht es nicht mehr so deutlich. Das ist ein Nachteil bei den elektronischen Tools. Dadurch sinkt oftmals die Arbeitszufriedenheit und Mitarbeitende müssen lernen, sich anders zu motivieren.

Kann es sein, dass jüngere Generationen mehr positive Rückmeldung benötigen, um zufrieden zu sein?

Die Generation Z braucht mehr Fürsprache und Lob. Heutige Azubis erwarten von ihrem Arbeitgeber mehr Ansprache und sind dann auch schnell weg, wenn sie diese nicht bekommen. Auch Geduld und die Fähigkeit sich länger auf eine Aufgabe zu konzentrieren ist in dieser Generation weniger stark vorhanden. So mancher kann nur schwer akzeptieren, dass sie oder er etwas über drei Jahre lernen muss, um an Ende eine gute Prüfung zu absolvieren.

Es wird immer wieder über Fortbildungsmöglichkeiten diskutiert, zu einen um das Berufsbild ReFa/ReNo aufzuwerten, zum anderen um den gewandelten Anforderungen Rechnung zu tragen. Welche Möglichkeiten gibt es?

Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es als bundesweit anerkannte Weiterbildung allein die Fortbildung zur Rechtsfachwirtin oder zum Rechtsfachwirt. Dafür müssen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer neben ihrem Beruf rund 400 Unterrichtsstunden absolvieren und am Ende vor der jeweiligen Rechtsanwaltskammer eine mündliche und eine schriftliche Prüfung ablegen. Die Fortbildungsmöglichkeiten nach dem Berufsbildungsgesetz für einen „Bachelor Professional“ oder einen „Master Professional“ stehen derzeit noch in den Startlöchern.

Soldan bietet in Kooperation mit der privaten Hochschule FOM einen Zertifikatskurs „Legal Tech Management“. Welche Rolle spielen solche Angebote?

Solche Zertifikatslehrgänge sind ein Schritt in die richtige Richtung. Unabhängig von diesen wichtigen Angeboten zur Weiterbildung über Zertifikatslehrgänge in verschiedenen Bereichen bin ich der Meinung, dass Kanzleien ihr vorhandenes internes Fachwissen besser nutzen sollten. Da schlummert viel ungenutztes Potenzial. Der Wissensaustausch zwischen Älteren und Jüngeren sowie zwischen Berufsträgern und Assistenz (Stichwort Reverse Mentoring) könnte viel besser genutzt und der interne Wissensaustausch gefördert werden.