Künftig direkt online zu Gericht

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Bürgerinnen und Bürger ziehen im Durchschnitt erst ab einem finanziellen Schaden von 2.000 Euro vor Gericht. Umfragen zufolge wird die Klageerhebung bei niedrigeren Ansprüchen als zu risikoreich und zu umständlich empfunden. Viele verzichten deshalb auf ihr „gutes Recht“.

Das soll sich jetzt ändern. Bürgerinnen und Bürgern sollen die Möglichkeit erhalten, kleinere Ansprüche online direkt bei den Gerichten geltend zu machen. Das ist das Ziel des Projektes „Digitale Klagewege“, das das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) angestoßen hat. Derzeit tüfteln vier junge Leute an einem entsprechenden Online-Tool. Sie sind Fellows des Programms „Tech4Germany“, das unter der Schirmherrschaft des Bundeskanzleramtes steht. Seit 2018 entwickeln hier interdisziplinäre Teams Softwareprogramme für die öffentliche Verwaltung, um auch auf diese Weise die Digitalisierung in Deutschland voranzutreiben.

Insgesamt haben die Fellows 12 Wochen Zeit, um einen Prototyp zu entwerfen, der sich zunächst auf mietrechtliche Ansprüche konzentrieren soll. Unterstützt werden sie dabei von Expertinnen und Experten aus der Berliner Gerichtspraxis. „Die Entwicklung eines Online-Tools zur Erfassung von rechtlichen Ansprüchen und zur Weiterverarbeitung soll Gerichte außerdem in die Lage versetzen, gleichgelagerte Verfahren, die in großer Zahl vorkommen und eine sehr regelbasierte und standardisierte Prüfung erfordern, einfacher, schneller und ressourcenschonender bearbeiten zu können“, teilt das BMJV mit. Denn auch die Justiz steht unter einem großen Rationalisierungsdruck. Insbesondere in den östlichen Bundesländern werden immer mehr Gerichte geschlossen.

Die Anwaltschaft beobachtet derweil interessiert diesen Legal Tech-Vorstoß aus dem Ministerium: „Die Details stehen noch nicht fest. Unklar ist bisher, ob der Übergang ins Regelverfahren für solche Fälle möglich sein wird, die sich als komplizierter herausstellen, als es auf den ersten Blick den Anschein hatte“, sagt Vizepräsident der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK), Rechtsanwalt und Notar Dr. Thomas Remmers. Er wünscht sich, dass das System möglichst offen gestaltet wird, so dass es auch von der Anwaltschaft für ihre Mandanten genutzt werden kann. „Außerdem müssen anfangs nicht anwaltlich vertretene Rechtsuchende in jeder Lage des Verfahrens die freie Wahl haben, ob sie noch einen Anwalt hinzuziehen möchten. Alles andere wäre eine Beschränkung des umfassenden Zugangs zum Recht“, so Remmers.

Die ganze Diskussion über niedrige Streitwerte, die gar nicht geltend gemacht würden, hält er allerdings für irreführend. „Viele Anwältinnen und Anwälte sind sehr wohl bereit, auch Mandate mit niedrigen Streitwerten zu übernehmen. Diese Diskussion geht an der Wirklichkeit vorbei“, stellt er fest. Der Zugang zum Recht müsse sichergestellt werden – und das sollte grundsätzlich auch weiterhin über die Anwältinnen und Anwälte erfolgen, insbesondere wenn sich der Mandant individuelle Beratung und Vertretung wünscht.