„Modern“ ist kein Argument für eine BRAO-Reform

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Bereits seit langem ist über eine Modernisierung des anwaltlichen Berufsrechts geschrieben und diskutiert worden. Am 20. Januar 2021 hat nun das Bundeskabinett einen umfangreichen Gesetzentwurf verabschiedet. Ob die damit verbundenen Reformen aber tatsächlich große praktische Relevanz haben werden, bezweifelt Prof. Dr. Christian Wolf im folgenden Interview. Er ist Professor an der Leibniz Universität Hannover und leitet den Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Deutsches, Europäisches und Internationales Zivilprozessrecht.

Welche Änderungen im derzeitigen Regierungsentwurf halten Sie für die wichtigsten?

Prof. Dr. Christian Wolf: Nach dem Entwurf sollen den Rechtsanwälten künftig alle deutschen und europäischen Gesellschaftsformen offen stehen. Das soll sogar für die GmbH & Co KG gelten. Darüber hinaus will der Gesetzgeber den Kreis der sozietätsfähigen Berufe deutlich erweitern. Anwälte sollen künftig mit allen Angehörigen der freien Berufe eine Sozietät bilden können. Es ist keine Beschränkung auf die verkammerten Berufe vorgesehen. Schließlich, und das ist konsequent und zu begrüßen, sollen künftig auch die Berufsausübungsgesellschaften Adressaten anwaltsgerichtlicher Maßnahmen sein. D.h. nicht nur der einzelne Berufsträger ist für die Einhaltung des Berufsrechts verantwortlich, sondern auch die Berufsausübungsgesellschaft selbst.

Ein wichtiger Punkt betrifft das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen. Was wird neu geregelt?

Prof. Dr. Christian Wolf: Bislang ist in der BRAO das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen nur für den einzelnen Anwalt geregelt. Die Sozietätserstreckung erfolgte in der BORA. Nunmehr soll die Sozietätserstreckung in der BRAO selbst vom Gesetzgeber geregelt werden. Die Frage, in welchem Umfang der Satzungsgeber eine solche Sozietätserstreckung anordnen kann, wird damit obsolet.

Eine wichtige Änderung stellt das Verbot dar, tätig werden zu dürfen, wenn man aus einem anderen Mandat über vertrauliche Informationen verfügt und deren Verwendung im Widerspruch zu den Interessen des vorhergehenden Mandats steht.

Es soll aber möglich sein, dass der Mandant sein Einverständnis erteilt. Für Referendarinnen und Referendare, die im Rahmen ihres Vorbereitungsdienstes in der Anwaltskanzlei arbeiten, soll diese Regelung aber nicht gelten. Anders sieht es jedoch aus, wenn sie zum Beispiel wissenschaftliche Mitarbeiter der Kanzlei sind.

Wie beurteilen Sie diese Neuregelung?

Prof. Dr. Christian Wolf: Zunächst ist es sicherlich sinnvoll, die Erstreckung des Verbots der Vertretung widerstreitender Interessen gesetzlich zu regeln. Ob es ausreiche, die Sozietätserstreckung wie bisher in der BORA zu regeln, war nicht ganz klar. Auch künftig wird es möglich sein, bei entsprechender Aufklärung und Einwilligung der Mandanten, innerhalb einer Sozietät widerstreitende Interessen durch verschiedene Anwälte vertreten zu lassen. Gegenüber dem Status quo ist dies nunmehr sogar leichter möglich, da nach derzeitiger Rechtslage widerstreitende Interessen trotz Einwilligung der Mandanten nicht vertreten werden können, wenn die Belange der Rechtspflege dagegen stehen. Dies soll künftig wegfallen. Allerdings dürften die Innenpolitiker darauf drängen, dass die Belange der Rechtspflege als zusätzliches Kriterium erhalten bleiben.

Die Ausweitung der Interessenkollision auf sensible Informationen, die ein Anwalt aus einem Mandat erhält, ist richtig, dürfte aber hinsichtlich der Frage, was genau „bedeutsame vertrauliche Informationen“ sind, in der Praxis noch Kopfzerbrechen bereiten. Alles in Allem gilt aber: Bei dem Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen handelt es sich schließlich um einen Kernwert anwaltlicher Tätigkeit. Der Anwalt signalisiert seinem Mandanten „ich bin dazu verpflichtet, nur Deine Interessen zu vertreten“ – das ist doch ein Wettbewerbsvorteil, den er gegenüber anderen Beratern ausspielen kann.

Eine Kapitalbeteiligung von Dritten soll den Anwälten auch weiterhin verboten bleiben. Finden Sie das richtig?

Prof. Dr. Christian Wolf: Ich halte das für absolut richtig. Bei jeder Reform des Anwaltsrechts muss man sich die Frage stellen, schaffen wird hierdurch einen besseren und gleichwertigeren Zugang zum Recht, oder dient die Reform lediglich bestimmten eigennützigen Interessen bestimmter Markteilnehmer? Schon heute befindet sich der Rechtsmarkt in einer Schieflage, weil sich insbesondere die leistungsstarken Kanzleien immer weniger an der Quersubventionierung von Streitigkeiten mit kleinem Streitwert beteiligen. Diese Entwicklung würde durch externe Kapitalgeber beschleunigt: Ein Kapitalgeber interessiert sich völlig zu Recht nicht dafür, ob mit seiner Investition das Recht verwirklicht wird, er interessiert sich für sein return on investment.

Dann halten Sie sicherlich auch die weitere Öffnung bei den Erfolgshonoraren für falsch, die das Kabinett ebenfalls am 20. Januar 2021 mit dem Entwurf des so genannten „Legal Tech“-Gesetzes verabschiedet hat?

Prof. Dr. Christian Wolf: Ja, ich halte auch das für falsch. Jedes sogenannte Legal Tech muss seine Zinserwartung an die im Private Equity Übliche anpassen. Darüber hinaus soll das Risiko überschaubar bleiben. Beides zusammen führt dazu, dass nur Fälle mit einer sehr hohen Obsiegenswahrscheinlichkeit zu einer einsprechend hohen Verzinsung des capital at risk (also der Verfahrenskosten, die im Unterliegensfall zu tragen sind) angenommen werden. Wenn es im Regierungsentwurf heißt, dass durch das Erfolgshonorar ein rationales Desinteresse überwunden werden soll, dann wird im Grunde nichts Anderes gesagt, als dass unser Rechtsmarkt in einem schlechten Zustand sei: Du musst auf 30 Prozent Deiner Forderung verzichten, wenn Du diese durchsetzen willst. Das ist zynisch und bildet die Wirklichkeit derzeit noch nicht zutreffend ab. Ein Erfolgshonorar finde ich nur akzeptabel, wenn wir wie im amerikanischen System einen Strafschaden einführen, das heißt, wenn die Ansprüche im Erfolgsfall überkompensiert werden.

Werden die Reformgesetze ihrer Meinung nach der Forderung nach einem moderneren Berufsrecht gerecht?

Prof. Dr. Christian Wolf: Zunächst, „modern“ ist ein unbestimmter chiffrierter Begriff mit dem man nichts und alles begründen kann. Wir stellen in der Diskussion nicht die richtige Frage. Wir müssten fragen, ob uns die Reform dem Ziel „Equal justice under law“ näher bringt? Hieran habe ich erhebliche Zweifel. Auf dem letzten Mietgerichtstag hat man festgestellt, dass durch die Legal Tech Angebote, die ja im Wesentlichen ein Geschäftsmodell mit einem internetbasierten Marketinginstrument sind, die ökonomische Basis für seriöse Beratung, die gerade in komplexen Fällen durch die Anwaltschaft erfolgt, untergraben wird. Die einfachen und sicher gewinnbaren Fälle landen im Legal Tech Bereich. Die schwierigen und zweitaufwenigen Fälle soll das Gros der Anwaltschaft abarbeiten.  

Bestimmte Neuregelungen sind sicherlich sinnvoll, zum Beispiel, dass zukünftig die Berufsausbildungsgesellschaft Adressat der anwaltsgerichtlichen Maßnahmen sein kann oder das Kanzleipostfach für den elektronischen Rechtsverkehr. Das Gleiche gilt auch für die Neuregelung der Interessenkollision.

Und das anwaltliche Gesellschaftsrecht oder die interprofessionelle Zusammenarbeit?

Prof. Dr. Christian Wolf: Was die Erweiterung der zulässigen Gesellschaftsformen betrifft, kann ich weder eine Notwendigkeit noch Vorteile erkennen. Bekanntlich ist die GmbH & Co KG die Gesellschaftsform mit der schlechtesten Reputation. Für den Beruf des Rechtsanwalts, der vor allem auf seine Reputation angewiesen ist, ein wenig frohlockendes Angebot. Dabei muss man sich klarmachen, dass Reputation bis zu einem bestimmten Punkt immer unteilbar ist. Ich will sagen, Anwälte, die sich künftig als GmbH &Co KG organisieren, gefährden nicht nur ihre eigene Reputation, dies hat natürlich auch Rückwirkungen auf alle Anwälte.

Auch die Öffnung der Anwaltssozietäten für Angehörige anderer freier Berufe, die ja auf die Horn-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zurückgeht, halte ich nicht für besonders praxisrelevant. Bislang sehe ich so gut wie keine Zusammenschlüsse von Rechtsanwälten, Ärzten und Apothekern. Auch bislang hinderte die Anwälte nichts daran, mit anderen Berufen interdisziplinär zusammenzuarbeiten. Aber warum soll dafür eine gesellschaftsrechtliche Verbindung notwendig sein?