Legal Tech bedeutet für die Anwaltschaft nicht primär eine Gefahr, sondern eine Chance. Sie kann Lösungen für die Herausforderungen auf dem sich verändernden Rechtsdienstleistungsmarkt bieten. Zu diesem Fazit kommt Prof. Dr. Matthias Kilian, Direktor des Soldan Instituts, in seiner Analyse zur Zukunft der Juristen, die er für einen Beitrag im Jubiläumsheft anlässlich des 70. Jahrestages des erstmaligen Erscheinens der Neuen Juristischen Wochenschrift verfasst hat (NJW 2017, 3043).
Seinen Untersuchungen zufolge wird der Rechtsdienstleistungsmarkt der Zukunft von mehreren Trends bestimmt:
- Es wird weniger Rechtsanwälte geben. Bereits im vergangenen Jahr und damit erstmals seit 1924 ist die Zahl der Rechtsanwälte nicht mehr gestiegen, sondern sogar rückläufig.
- Immer mehr junge Menschen entscheiden sich für ein Bachelor-/ oder Masterstudium statt für eine oftmals mühsame und lange Ausbildung zum Volljuristen.
- Es wird immer mehr Juristinnen geben. Zum Stichtag 1.1.2016 waren 58 Prozent der Referendare weiblich; der Frauen-Anteil unter den neu zugelassenen Rechtsanwälten beträgt fast 50 Prozent. Die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird deshalb noch weiter an Bedeutung gewinnen.
- Der Trend zur Spezialisierung setzt sich weiter fort. Das belegen auch das rasante Wachstum der Fachanwaltschaften und die Einführung von weiteren Spezialkammern an den Landgerichten.
- Immer weniger Rechtsstreitigkeiten landen vor Gericht. Ursachen sind höhere Gerichtskosten, Beschränkungen von Rechtsmitteln, Einschränkungen bei der Prozesskostenhilfe und die Förderung alternativer Streitbeilegungsverfahren wie Mediation.
Legal Tech als Chance
Aufgrund dieser Determinanten auf dem Rechtsdienstleistungsmarkt werden Lösungen gefragt sein, die dabei helfen, die anfallenden Arbeiten mit einem geringeren Zeitaufwand erledigen zu können. Legal Tech kann daher eine Chance sein. Das Risiko, von Algorithmen, Big Data und Künstlicher Intelligenz verdrängt zu werden, hält Kilian indes für Volljuristen für eher gering. Plattformen zur Lösung geringwertiger Massenstreitigkeiten oder zur Prüfung wiederkehrender Rechtsfragen werden seiner Meinung nach der Anwaltschaft nicht schaden. Viele dieser Rechtsprobleme von Privatpersonen wären ohnehin nicht beim Anwalt gelandet.
Diese Plattformen verbessern somit den Zugang zum Recht und sorgen darüber hinaus auch für zusätzliches Geschäft, wenn sich das Problem eventuell doch als komplexer erweist und ein Anwalt eingeschaltet werden muss. Großkanzleien hingegen können mit digitalen Checklisten und Programmen ihre Unternehmensmandanten in die Lage versetzen, wiederkehrende Rechtsfragen selbst zu prüfen. Auf diese Weise binden sie die Mandanten an sich, die sich unter Umständen sonst nach einem günstigeren Berater umgesehen hätten. Nach Ansicht von Kilian stellt auch die Technik, die in „volljuristisches Kerngeschäft vordringt“,
keine Bedrohung für den Volljuristen dar, sondern eher für juristisch geschulte Sachbearbeiter oder anderes Fachpersonal. Dazu zählt er derzeit beispielsweise die auf der Blockchain-Technologie beruhenden so genannten „Smart Contracts“.
Viele Fragen noch nicht ausreichend geklärt
Gleichwohl setzt sich Kilian durchaus kritisch mit der fortschreitende Digitalisierung auf dem Rechtsberatungsmarkt auseinander: Seiner Meinung nach werde das Neue „trotz zunehmender Dynamik des technischen Fortschritts nicht so schnell und radikal kommen, wie gegenwärtig häufig angenommen wird“. Viele Fragen zum Berufsrecht, zum Rechtsdienstleistungsgesetz, zum Datenschutz und zur Haftung seien bislang noch nicht ausreichend oder gar nicht beantwortet worden. Zudem werde die derzeitige Diskussion über Legal Tech sehr „technikgetrieben“ geführt. „Dieser Ansatz ist dort zielführend, wo er auf Nachfrager trifft, die Rechtsprobleme ebenfalls als rational zu lösendes Problem sehen, etwa mit Rechtsproblemen erfahrene Unternehmen oder Mittelständler“, so Kilian.
Bei vielen Privatpersonen oder Kleinunternehmen sieht das hingegen anders aus: Sie wünschen sich den persönlichen Kontakt zu ihrem Anwalt, suchen neben seinem Rat Anteilnahme und Beruhigung. Die zentrale Funktion von Legal Tech wird daher nach seiner Meinung nicht darin liegen, „Rechtsdienstleister in großem Umfang durch Maschinen zu ersetzen, sondern sie von bestimmten Tätigkeiten zu entlasten, so dass sie sich auf volljuristische Kernaufgaben und die Betreuung von Mandanten konzentrieren können.“