Es wird immer weniger vor den Zivilgerichten geklagt. Dieser Trend wird bereits seit einigen Jahren beobachtet. Nun belegt ihn auch eine aktuelle Studie, die das Bundesjustizministerium in Auftrag gegeben hat. Aus der umfangreichen Untersuchung geht hervor, dass zwischen den Jahren 2005 bis 2019 die Neuzugänge bei den Amtsgerichten um etwa 36 Prozent und bei den Landgerichten um 21 Prozent gesunken sind.
Vier Hauptgründe für den Rückgang hat das beauftragte Forschungskonsortium unter Führung der InterVal GmbH identifiziert: Unternehmen interessierten sich mehr für vorbeugende und konsensuale Konfliktlösungen, statt vor Gericht zu klagen. Sie nutzten stärker Maßnahmen wie AGB-Gestaltungen, Vorkasse oder ein unternehmensinternes Beschwerdemanagement. Auch Privatleute scheuten das Risiko eines Gerichtsprozesses. Viele würden es als psychisch belastend, zeitaufwendig und unwirtschaftlich wahrnehmen und daher eher auf Angebote von Legal-Tech-Anbietern oder anderen Dienstleistern zurückgreifen.
Ähnliches geht aus einer Untersuchung des Soldan Instituts zum Berufsrechtsbarometers 2021 hervor. Dafür hatten die Kölner Berufsforscher rund 1.900 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte mit mehr als zehn Jahren Berufserfahrung um ihre Einschätzung gebeten, worauf die sinkenden Eingangszahlen bei den Gerichten zurückzuführen seien. Auch dieser Untersuchung zufolge sind Mandanten heute stärker an einer schnellen Konfliktlösung interessiert als an einem langwierigen Gerichtsverfahren. Sie würden auch aus Kostengründen scheuen, ihre Anliegen gerichtlich durchzusetzen. Hinzu kommt, dass viele Mandanten nicht glaubten, dass staatliche Gerichte zu fairen Ergebnissen kommen.
Aus der Untersuchung des Bundesjustizministeriums geht zudem hervor, dass auch die Anwältinnen und Anwälte häufiger als früher davon abraten würden, vor Gericht zu ziehen. Ihrer Beratungspraxis käme eine „wichtige Filterfunktion“ zu, heißt es in der Pressemitteilung des Bundesjustizministeriums. Darüber hinaus schränkten die Rechtsschutzversicherungen ihre Deckungszusagen häufiger als früher ein. Auch diese Feststellung deckt sich mit kürzlich veröffentlichten Untersuchungen des Soldan Instituts. Diese Faktoren führen dazu, dass der Gang zu Gericht für die Betroffenen zunehmend zur ultima ratio wird.
Schließlich trägt die Justiz auch selbst dazu bei, dass der Zivilprozess an Bedeutung verliert, so die Studie des Bundesjustizministeriums. So seien die Richter im Vergleich zur Anwaltschaft weniger spezialisiert und würden häufiger wechseln. Auch komme die Digitalisierung in der Justiz nur schleppend voran.
Es müssten daher die Gerichte besser ausgestattet werden, die Abläufe digitaler und effizienter gestaltet, die Richter mehr Spezialisierung erfahren und Online-Verfahren bei Kleinforderungen eingeführt werden, so lauten einige wesentliche Forderungen der Autoren der Studie. „Um zu gewährleisten, dass die Justiz ihrer Funktion gerecht bleibt, muss sie mit der gesellschaftlichen Entwicklung Schritt halten“, stellte auch die Staatssekretärin im Bundesjustizministerium Dr. Angelika Schlunck fest, als ihr der Abschlussbericht überreicht wurde.
Einen Schritt in diese Richtung hat das Bundesjustizministerium schon vor zwei Jahren unternommen: die Entwicklung und Erprobung für ein zivilgerichtliches Online-Verfahren, um Bürgerinnen und Bürgern den Zugang zum Recht zu erleichtern.