Ein Interview mit Ulrich Schellenberg, Präsident des Deutschen Anwaltvereins (DAV) zu den aktuellen Herausforderungen der Anwaltschaft.
Sie sind seit Juni 2015 neuer Präsident des Deutschen Anwaltvereins, der Interessenvertretung von rund 67.000 Anwältinnen und Anwälten. Welches sind aus Ihrer Sicht die Herausforderungen der Anwaltschaft in den kommenden Jahren?
Ulrich Schellenberg: Ein wichtiger Schwerpunkt wird die fortschreitende Digitalisierung aller Lebensbereiche sein, die auch vor Kanzleien nicht halt macht. Wir müssen die technischen Entwicklungen nutzen, wenn sie uns und damit natürlich unseren Mandanten helfen in Beratung und Vertretung. Und wir müssen aufzeigen, wo die Grenzen der Technik sind, wo es immer noch auf den persönlichen Kontakt zur Anwältin, zum Anwalt ankommt. Zur Digitalisierung gehört auch das beA, das im zweiten Anlauf sicher noch besser wird als ursprünglich geplant. Ein weiteres Thema ist die konkretisierte Fortbildungsverpflichtung, die kommen wird. Wir werden uns dafür einsetzen, dass sie so ausgestaltet ist, dass sie kein zu enges Korsett für die Anwaltschaft darstellt und trotzdem Qualität und Image unserer Berufsgruppe verbessert.
Die Digitalisierung erreicht nun auch die Rechtsdienstleistungen. Müssen Anwälte künftig die Konkurrenz aus dem Netz fürchten? Sehen Sie die Digitalisierung eher als Chance oder eher als Risiko für die Anwaltschaft?
Ulrich Schellenberg: Nochmals: Die fortschreitende Digitalisierung ist nicht aufzuhalten. Wo sich Risiken für bestehende Strukturen auftun, da gibt es auch Chancen für neue und kreative Lösungen. Entscheidend ist es daher, richtig auf veränderte Rahmenbedingungen zu reagieren. Gewisse Rechtsdienstleistungen können bereits zur heutigen Zeit standardisiert durch Algorithmen unterstützt werden. Hier wird die Entwicklung sicher voranschreiten. Das bietet aber auch die Chance, ganz neue Märkte im Bereich der Rechtsdienstleistungen zu erschließen, die mit den bisherigen Arbeitsweisen schlicht nicht bedient werden konnten. Die technische Entwicklung wird sicher eine hilfreiche Unterstützung in einem zunehmend komplexen Rechtssystem mit wachsender Normdichte sein. Ich möchte, dass wir das Thema Digitalisierung angstfrei diskutieren, denn lieber ist mir, dass wir es sind, die Algorithmen in der Arbeit für unsere Mandanten nutzen, als dass andere die Technik nutzen, um scheinbar günstige automatisierte Rechtsberatung anzubieten.
Inwiefern begleitet der DAV seine Mitglieder auf dem Weg in das digitale Zeitalter?
Ulrich Schellenberg: Mit seiner Zukunftsstudie aus dem Jahr 2013 hat sich der DAV bereits intensiv mit den Auswirkungen der wirtschaftlichen, demografischen, gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen auf den Rechtsdienstleistungsmarkt in den nächsten 20 Jahren auseinandergesetzt. Damit werden Möglichkeiten aufgezeigt, wie Anwältinnen und Anwälte auf die zu erwartenden Herausforderungen reagieren können.
Außerdem bieten wir Workshops und Fortbildungen für Anwälte etwa im Bereich Kanzleimanagement an. Zudem informieren wir unsere Mitglieder fortlaufend über alle wichtigen Entwicklungen und aktuellen Ereignisse. Auf der Website digitale-anwaltschaft.de/ finden unsere Mitglieder viele hilfreiche Informationen zum Thema besonderes elektronisches Anwaltspostfach, elektronischer Rechtsverkehr oder zur digitalen Kanzlei.
Der Start des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs ist verschoben worden. Hat das eventuelle Bedenken in der Anwaltschaft verstärkt?
Ulrich Schellenberg: Aus Sicht des DAV führt am elektronischen Rechtsverkehr kein Weg vorbei. Mit Blick auf die bereits bestehenden technischen Möglichkeiten kann man sich dieser Entwicklung nicht verschließen und sollte es nicht. Der DAV beteiligt sich daher konstruktiv an der Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs. Im Ergebnis wird der elektronische Rechtsverkehr zu einer Vereinfachung der Verfahren führen. Dies wird er langfristig auch tun. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass derartig große Umstellungen nie ganz reibungslos verlaufen. Nach der Verschiebung des Starttermins kann nun die Zeit dazu genutzt werden, Optimierungen für den Kanzleialltag vorzunehmen. Wichtig ist es daher, die Kolleginnen und Kollegen über die bevorstehenden und geplanten Änderungen umfassend und frühzeitig zu informieren. Der elektronische Rechtsverkehr wird auch helfen, das Berufsgeheimnis besser zu bewahren.
Und wie sieht es in der Rechtspolitik aus?
Ulrich Schellenberg: Hier beschäftigt uns das Flüchtlingsthema; das wird auch in der nächsten Zukunft so sein. Ich möchte das Versprechen, dass Anwaltschaft und DAV als das Feinmessgerät des Rechtsstaats sind, klar einlösen. Die Diskussion um Asyl- und andere Anerkennungsverfahren angesichts großer Flüchtlingszahlen ist eine Bewährungsprobe für den Rechtsstaat. Wir wollen dazu beitragen, dass die Bundesrepublik diese Bewährungsprobe besteht.
Zur Person:
Rechtsanwalt und Notar Ulrich Schellenberg ist seit 1999 Mitglied des Vorstandes, seit Juni 2015 Präsident des Deutschen Anwaltvereins. In seiner Kanzlei in Berlin beschäftigt er sich insbesondere mit Fragen des Gesellschafts- und Wirtschaftsrechts. Darüber hinaus ist er seit 2007 Fachanwalt für Erbrecht.