„Viele Angebote betreffen kein klassisches Anwaltsgeschäft“

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Ein Gespräch mit Professor Dr. Matthias Kilian, Direktor des Soldan Instituts in Köln, zur zunehmenden Digitalisierung im Rechtsberatungsmarkt

Wie bereiten sich die Anwälte auf die Digitalisierung im Rechtsdienstleistungsmarkt vor?

Prof. Dr. Matthias Kilian: Wenn wir auf technische Hilfestellungen schauen, sind wir bereits weiter als viele Skeptiker meinen: Mehr als die Hälfte der Rechtsanwälte verwaltet nach einer Studie des Soldan Instituts ihre Akten bereits elektronisch, fast 40 Prozent verwenden Spracherkennungssoftware, 60 Prozent eine elektronische Fristenverwaltung, 80 Prozent nutzen Datenbanken. Die Nutzung solcher „dienenden“ Technologie wird durch die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs weiter zunehmen und in einigen Jahren Standard sein. An eine Revolution im Bereich der den Anwalt „ersetzenden“ Technologie glaube ich  aber nicht.

Sind Susskinds Thesen eher etwas für das anglo-amerikanische Rechtssystem?

Prof. Dr. Matthias Kilian: Man darf nicht meinen, das alles, was im angelsächsischen Rechtskreis diskutiert wird, zwangsläufig auch für uns relevant ist: Unser Rechtssystem ist viel stärker von der Anwendung abstrakter Prinzipien auf einen Lebenssachverhalt geprägt als das common law. Manche rechtlichen Sachverhalte wie eine Scheidung sind im Ausland wenig mehr als ein bürokratischer Akt, bei uns aber ein komplexer rechtlicher Prozess. Dafür ist bei uns die anwaltliche Bearbeitung auch geringwertiger Streitigkeiten dank der Regulierung der Kosten häufig deutlich erschwinglicher als in den USA oder Großbritannien, wo stets die Uhr des Anwalts läuft.

In welchen Bereichen anwaltlicher Tätigkeit wird Ihren Einschätzungen zufolge digitale Technik in der Zukunft dominieren?

Prof. Dr. Matthias Kilian: Man muss bei dieser Frage differenzieren: Geht es um den Einsatz digitaler Technologie, um die traditionelle anwaltliche Dienstleistung zu erleichtern und zu verbessern? Hier ist die Technisierung bereits deutlich spürbar. Oder geht es um die Verdrängung von anwaltlicher Dienstleistung durch Technik? Hier darf man bei allem Enthusiasmus für Technik die Sicht der Rechtssuchenden nicht aus dem Blick verlieren: Für Rechtsuchende ist einer der wichtigsten Aspekte bei Auftreten eines Rechtsproblems, möglichst rasch mit einem Experten sprechen zu können und die Verantwortung für ein auf sie als Laien bedrohlich wirkendes Problem in kompetente Hände abgeben zu können. Dieses Bedürfnis kann ein Computerprogramm nicht befriedigen. Mehr Relevanz werden technologiebasierte Lösungen meines Erachtens nur  in Bereichen bekommen, in denen sich Personen nicht in einem aktuellen, sie belastenden Konflikt befinden, sondern es eher um eigenverantwortliche Rechtsgestaltung geht. Also etwa bei einfach gelagerten Vorsorgevollmachten oder simplen letztwilligen Verfügungen – wenn es solche überhaupt gibt.

Werden Anbieter, die den Nutzern juristische Bausteine für Verträge liefern, eine Konkurrenz für den Anwalt?

Prof. Dr. Matthias Kilian: Meines Erachtens allenfalls in Randbereichen, die vor allem Notare und weniger Rechtsanwälte betreffen. Es wird dann allerdings um wenig mehr gehen als um ein digitalisiertes Formularbuch, dessen Nutzung sich ein Laie auch zutraut. Viele Onlinetools, die es im Ausland bereits gibt, sind zu großen Teilen Musterbriefsammlungen und betreffen kein typisches Anwaltsgeschäft – und dort, wo Anwaltsgeschäft betroffen ist, geht es nicht selten um Bereiche, um die sich in Deutschland Anwälte aufgrund der geringen Streitwerte nicht unbedingt reißen.

ZuKilianr Person:

Prof. Dr. jur. Matthias Kilian ist Direktor des Soldan Instituts und Inhaber der Hans-Soldan-Stiftungsjuniorprofessur für Zivilrecht, Wirtschaftsrecht, Verfahrensrecht, Anwaltsrecht und anwaltsorientierte Juristenausbildung der Universität zu Köln. Er ist neben seiner Lehr- und Forschungstätigkeit Herausgeber zahlreicher Studien, Forschungsberichte und Fachbeiträge.