„Von autonom handelnden Roboter-Anwälten sind wir weit entfernt“

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Chatbots und computergenerierte Texte – Was leisten diese Technologien heute und in der Zukunft? Über dieses Thema wird Computerlinguist Alexander Siebert auf der diesjährigen Legal Tech Tour in Berlin am 9. November sprechen. Er ist Gründer und kreativer Ideengeber von Retresco, die sich auf die automatisierte Verwertung von Inhalten und Daten spezialisiert haben.

Über die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz (KI) ranken sich seit ihrer Entstehung Mythen und große Erwartungen. Wo stehen wir ihrer Meinung nach auf der Entwicklungskurve?

Alexander Siebert: Künstliche Intelligenz versucht menschliche Intelligenz zu mechanisieren. Um den Stand der Entwicklung zu verstehen, hilft es, KI in zwei Bereiche zu unterteilen, in schwache und in starke KI („weak AI und strong AI“). Erstere beschreibt Programme, die in der Lage sind, einzelne Fähigkeiten des Menschen nachzubilden und wesentlich besser und effizienter auszuführen wie sie erfolgreich in der Bilderkennung, der Machine Translation, und Textgenerierung Anwendung findet. Durch das Vorhandensein digitaler Daten in großen Mengen und Deep Learning Algorithmen wurden hier in den vergangenen drei bis vier Jahren große Fortschritte gemacht.

Starke KI hingegen beschreibt Systeme, die genauso intelligent sind, wie der durchschnittliche Mensch. Sie können unbekannte Probleme lösen. Solche Systeme gibt es noch nicht wirklich. Die Entwicklung steckt noch in den Kinderschuhen. Leider vermittelt uns die Werbung oft ein anderes Bild, was zu einer verzerrten Wahrnehmung der Realität und des tatsächlichen Leistungsstandes der KI-Technologie führt.

Welche spannenden KI-Entwicklungen kann sich der Anwalt im Legal Tech Bereich zu Nutzen machen?

Alexander Siebert: Generell kann die Technologie überall dort eingesetzt werden, wo viele und gut strukturierte Daten vorliegen, aber auch überall dort, wo starke Regularien vorherrschen. KI wird den Anwalt nicht ersetzen, aber ihn unterstützen und ihm die routinemäßige Arbeit wie das Prüfen und Erstellen von standardisierten Dokumenten oder umfangreiche Recherchetätigkeiten abnehmen. Dem Anwalt werden dadurch schnellere Reaktionszeiten möglich und es ist damit zu rechnen, dass Kunden dies demnächst voraussetzen.

Automatisierung von standardisierten Prozessen wird zunehmend Realität. Es wird mehr und mehr Legal Tech Startups geben, die einfache, wiederkehrende juristische Verfahren automatisieren (Flugrecht, Verkehrsrecht, Versicherungen etc.). Manchmal werden dadurch neue Märkte erschlossen, weil bestehende Dienstleistungen nun erst im B2C Segment angeboten werden können. Aus Flugausfallerstattungen ist ein Massenmarkt mit stark automatisierter Abwicklung geworden. Diesen Markt gab es so vorher gar nicht.

Inwieweit können hier computergenerierte Texte hilfreich sein?

Alexander Siebert: Durch automatisch generierte Inhalte ist eine viel individuellere, gezieltere Ansprache der Mandanten möglich. Das Verständnis und die Identifikation werden sich auf Seiten des Mandanten dadurch vergrößern. Außerdem können standardisierte Dokumente wie AGBs, Arbeitsverträge oder Testamente durch wenige Klicks auf die Wünsche des Mandanten zugeschnitten und automatisch erzeugt werden.

Chatbots sind als elektronische Helfer in der Interaktion insbesondere im Endkundensegment nicht mehr wegzudenken. Wo sind hier die Chancen und Grenzen für die Anwaltschaft?

Alexander Siebert: Chatbots ermöglichen einen deutlich schnelleren und sehr lösungsorientierten Support des Mandanten. Anfragen können durch den Einsatz segmentiert werden, erste Antworten automatisch ausgespielt werden, bevor der Anwalt sich bei steigender Komplexität dem Fall selber annimmt. Denn die Abwägung und Beurteilung von unterschiedlichen Positionen und die Ableitungen daraus werden auch weiterhin von Menschen vorgenommen werden. Empathie gegenüber dem Mandanten, das nötige Fingerspitzengefühl, die Gesprächssituationen, sie werden allesamt eher nicht durch einen Chatbot automatisierbar sein. Standardisierte Geschäftsmodelle (z.B. flightright) mit stets wiederkehrenden gleichen Vorfällen, können automatisch aufgenommen werden. Aber auch im professionellen Anwaltssegement gibt es Anwendungsfälle wie zum Beispiel die Vermittlung von Hintergrundwissen über aktuelle Sachverhalte. Rückfragen zur DSGVO könnte man zum Beispiel von einem Chatbot beantworten lassen.

Sollte der Anwalt besorgt sein, dass die KI langfristig seinen Job komplett ersetzen wird?

Alexander Siebert: Von autonom handelnden Roboter-Anwälten sind wir weit entfernt. Aber auch Kanzleien werden sich digitalen Technologien öffnen müssen. Serviceteile werden mit Hilfe von KI-Technologie genauso automatisiert wie sämtliche, standardisierte Arbeitsabläufe. Das effektive Zusammenwirken von Mensch und Maschine wird erhebliche strategische Vorteile bringen.

 

Das komplette Programm der Legal Tech Tour am 8. und 9. November sowie die Möglichkeit zur Anmeldung unter www.soldan.de/legal-tech-tour